Marktleiterminiaturen

In nur wenigen Tagen erscheint unsere neue Ausgabe über »Arbeit«. Aus diesem Anlass lässt Chefkolumnist CHRISTIAN WÖLLECKE in vier Miniaturen seine Zeit als Lidl-Marktleiter Revue passieren.

Brotregal 

In den Anfangsjahren sind die monochromen Metallregalbretter vielleicht blau. Aber irgendwann kommt der Punkt, da will der Kunde ein Gefühl dazu: Kussi Kussi. So heißt das Holzimitat, die Folie, die aufgeklebt wird. Kunden lieben Holz, sie sehen die guten Dinge gern. Obst und Gemüse kriegen spezielles Licht, das Brot, gebacken aus Mehl, Hefe, Salz, Speiseöl, Invertzuckersirup und ein paar Emulgatoren liegt in Plastiktüten auf Metallböden, die aussehen wie Holzbretter. Raschelnd fliegt Laib um Laib aus den Kisten. Gut Frielingshof: Weltmeisterbrot, Vollkornsonne, Fitnessbrot, Knolli-Brot, Roggenkruste, Weißbrot, Weizenschnittbrot.

Schnelldreher 

Eine Kilo-Zuckerpackung ist ein Ziegel. Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos; diesen Backstein werden wir lesen. Der Zucker liegt schwerer in der Hand, aber er geht schneller weg. Die Leute suchen ihn verzweifelt im Laden. Man meldet das in den ersten Tagen. Der Chef nimmt einen grienend zur Seite: »Wer viel herumrennt, findet auf einmal Dinge, von denen er gar nicht wusste, dass er sie braucht.« Dann hebt er den Zeigefinger. »Was aber nur für die Kunden gilt.« Der Zucker wird palettenweise vorgefahren. Er steht an der Kasse beim Mehl und den Eiern. Das Salz steht bei den Nährmitteln, im dritten Gang. Ich haue dreißig Kolli Salz in unter einer Minute in die unterste Regalebene: Arbeit am eigenen Mythos.

Am ersten Tag

bekommen Azubis vielleicht einen Blumenstrauß. Oder am letzten. Er weiß das nicht genau. Ein Foto hat er gesehen, auf dem er eine Zuckertüte in der Hand gehalten hat. Aber geglaubt hat er das nie. Er ist kein Azubi, er studiert jetzt. Auf einem kleinen gelben Zettel stehen Orte wie Rudolstadt, Saalfeld, Jena. Der Chef lässt sich entschuldigen, lässt den nagelneuen Studenten Testkäufe machen. Der Student versucht, Kassiererinnen reinzulegen. Dinge im Wagen zu lassen. Zu klauen, aber so zu klauen, dass man es merken kann. Es ist wie beim Lotto: Er landet gleich im ersten Markt einen Treffer, dann verlässt ihn das Glück. Später, vielleicht ein Jahr später, weiß er Bescheid: Die Maschinerie des Marktes – Telefonkette. Die Neuigkeit springt von Markleiterin zu Marktleiterin, Personenbeschreibung, Kfz-Kennzeichen, alles. Er und sein Chef – allein gegen die Untergebenen. Vom ersten Tag an.

Der Pilzfan 

Elvira weiß, was mit dem Pilzfan los ist, weil ihre Mutter die Mutter des Pilzfans kennt. Der Pilzfan heißt Klaus, und manchmal versucht er, den Verkäuferinnen zuzulächeln, wenn er Paletten von Dosenchampignons auf das Band stapelt. Aber Elvira hat schon die Desinfektionstücher in der Hand, da kann sie nicht lächeln. Der Pilzfan kauft auch frische Pilze, aber nicht so viele, er züchtet selbst. Das weiß ich, weil ich mal mit ihm ein Bier in Zeulenroda getrunken habe. Er hatte ein Terrarium gekauft über Ebay Kleinanzeigen und wollte es abholen. Seitdem weiß ich auch, dass Klaus sich als ganzheitlicher Typ sieht. »Die Pilze tun gar nichts, die sind friedlich«, sagte er. Darum also desinfiziert Elvira immer gleich alles, wenn der Pilzfan da war. Und ich hole neue Pilze aus dem Lager zum Auffüllen, aber nur die Dosen mit den kleinen, runden Köpfen, erste Wahl.

Illustration: Luise Hesse

Die Miniaturen sind ein Auszug aus einer größeren Sammlung, die momentan erweitert und überarbeitet wird.