Kultur zu Hause

Die Pressemeldung Ende März war so schlicht wie kurz. Auch im Ausnahmezustand dürfe das sozial-kulturelle Leben nicht stillstehen, schrieb das Haus für Poesie auf seiner Website. Aufgrund der weltweiten Coronakrise habe man sich daher entschlossen, das 21. poesiefestival berlin online stattfinden zu lassen.

Seit der Meldung sind inzwischen gut zwei Monate vergangen. Man kann nur vermuten, wie viel Arbeit hinter den Veranstalter*innen liegt, wie viel Kreativität von ihnen und den Teilnehmer*innen gefragt war, um ein analoges Literaturfestival im virtuellen Raum stattfinden lassen zu können. Dass sich all die Arbeit gelohnt haben könnte, zeigt der Blick auf das Festivalprogramm. Rund 150 Autor*innen aus 29 Ländern werden vom 5. bis zum 11. Juni in über 100 Online-Events zoomen, hangouten, auftreten, lesen und diskutieren. Unter ihnen auch zahlreiche Künstler*innen aus Kanada, dem diesjährigen Gastland des Festivals. Bereits aufgezeichnete Formate wie die Berliner Rede zur Poesie von Anne Carson werden auf der Festivalseite abrufbar sein, Liveschalten zu den angegebenen Uhrzeiten online gehen.

Mit dabei sind auch dieses Jahr wieder altbewährte Formate. So wird die schöne Reihe der Poet’s Corner wieder einmal den Auftakt des Festivals bilden, wobei man sich dieses Mal eben nicht in den Bibliotheken, Bars und Literaturorten der Berliner Kieze treffen wird, um den dort lebenden Lyriker*innen zuzuhören, sondern von diesen per Home-Video mit Texten und Einblicken in ihre ganz persönliche Homestorys beliefert wird. Weiter geht es unter anderem mit dem VERSschmuggel, der in diesem Jahr kanadische und deutsche Lyriker*innen zusammenbringt und dessen virtuelle Version mit Splitscreens und Zoom-Ping-Pong mit Spannung erwartet werden darf. Auch das Format Weltklang – Nacht der Poesie, das integraler Bestandteil des poesiefestivals ist, und in dessen Rahmen neun Dichter*innen aus neun Ländern lesen werden, bleibt erhalten. Selbst der eigentlich am Festivalsonntag angedachte Lyrikmarkt wird digital zu besuchen sein, denn Lyrikverlage sowie Magazine stellen ihr Programm nun als Blogbeitrag oder Videobotschaft vor.

Das Podium zur Digitalen Poesie hingegen sollte die Verlagerung in den virtuellen Raum ohnehin kaum vor Probleme stellen. Moderiert von dem Autor und Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr werden hier Werke vorgestellt, die »digital-born« sind und denen die ausschließlich digitale Festivalform entgegenkommen dürfte.

Es ist erstaunlich, wie facettenreich sich das in so kurzer Zeit angepasste Programm des Festivals präsentiert: Kurzfilme, Podiumsdiskussionen, Poetry Yoga, Workshops, Performances sowie die Förderung für den poetischen Nachwuchs – die Liste ist lang. Das Jahr 2020 hat für uns alle einen besonderen Kontext geschaffen, in dem zwar viele Pläne verworfen werden mussten, aber auch viel Neues und Unerwartetes entstehen konnte. Solche neuen und aufregenden Antworten auf den herrschenden Ausnahmezustand präsentiert auch das poesiefestival mit viel Kreativität, Erfindungsreichtum und Fingerspitzengefühl. Man darf sich schon jetzt auf die Umsetzung freuen.