Schlaglicht: “Soumission”, die Literatur, ihre Kritik und Dringenderes

von CHARLIE

In der aktuellen Zeit konstatiert Jens Jessen die „stilistische Armut“ und „bürokratische Trockenheit“ des neuen Romans von Michel Houellebecq. Der Autor selbst sagte in seinem einzigen Fernsehinterview zum Buch, gefragt, ob er als Starautor ein höheres Maß an Verantwortung für seine Bücher trage (als weniger gelesene Autoren, vermutlich), dass ein Roman seines Wissens noch nie den Lauf der Geschichte geändert habe. Das Kommunistische Manifest vielleicht, aber ein Roman: nein. Zwischen beiden Aussagen gibt es, obwohl unabhängig voneinander getätigt, durchaus einen Zusammenhang.

Es ist wahr, die Literatur wird wohl auf unabsehbare Zeit dazu verdammt sein, die Nebenrolle des Narren in zu kurzer Hose und zu großem Hemd und mit wirren Haaren zu übernehmen, der die holprige, zähe Fahrt in der Kutsche für den Rest der Reisegesellschaft ein bisschen interessanter macht (und der sie manchmal unerwartet an Herz, Seele oder Kopf rührt), sie schneller vorübergehen lässt und deshalb geduldet wird, denn leider leider produziert dieser Narr nun einmal weder sauberes Trinkwasser, noch einen gedeckten Tisch im Gasthaus, noch sorgt er für Sicherheit auf dunklen Straßen. Und er heilt auch keine schmerzenden Rücken oder wunde Hufe.

Vielleicht sollten wir die ästhetische Kargheit von Houellebecqs „Denkexperiment“ (Jessen), das dennoch anscheinend genug politischen Sprengstoff beinhaltet, dass man in ganz Europa darüber diskutiert, als Antwort auf die Ereignisse vom letzten Mittwoch einfach als einen Seitenhieb verstehen – ob vom Autor so intendiert oder nicht – für den Fall, wir gehören zu jenen, die sich so gern in die ästhetischen Freuden der Literatur (oder anderer Künste) fallen lassen und diese dann, aus einem schlechten Gewissen heraus oder weil ihnen die abseitige Position des Narren dann doch nicht so behagt, auch noch für politisch relevant erklären (natürlich nicht auf direktem Wege, sondern, schau, lass mich es dir erklären, ganz anders, letztendlich viel profunder, über drei, vier, fünf Ecken). Und die über diesen Erklärungen und ihrem privaten Genuss vergessen, dass auch sie am Ende des Tages zum Glas Wasser, zu Brot, Butter und Käse greifen und danach, ohne Rückenschmerzen, ruhig schlafen wollen werden. Vielleicht kann dieser Roman, der diese Bezeichnung nicht verdienen soll, also auch als Ohrfeige verstanden werden, die einem klarmachen kann, dass es sehr oft Dringenderes zu tun gibt, als „Sprachprunk, kostbare Metaphern und funkelnde Analogien“ zu genießen (die Huysmans, Vorbild des Erzählers in Soumission, Jessen zu Folge aufs Blatt bringen konnte und Houellebecq nicht). Dass einen Roman lesen letztendlich heißt, einen Roman zu lesen, nicht mehr.

Die sehr realen Ereignisse um Charlie Hebdo hätten dies nicht deutlicher machen können. Mit ‚Dringenderem‘ ist hier übrigens nicht die Verhinderung der Islamisierung des Abendlandes gemeint.

Und das von einem Literaturmagazin! #NousSommesTousCharlie