The Times They Are a-Changin’

von Audun Lindholm (Vagant)

Es geschieht nicht häufig, dass ich dazu verführt bin, die Dinge literatursoziologisch zu betrachten, aber in den letzten Stunden war es schwierig, genau das nicht zu tun. Durch ihre Wahl von Bob Dylan zum diesjährigen Träger des Literaturnobelpreises hat die Schwedische Akademie zwei neue Variablen in die globale Diskussion über Literatur eingeführt: die Subkultur und die Generationszugehörigkeit. Auf einer lokalen Ebene waren beide Variablen schon immer präsent, doch neigen sie zum Verschwinden, sobald Literatur über Landesgrenzen hinweg vermittelt wird. Alle lesenden Norweger, unabhängig von ihrem Alter, sind für Kjell Askildsen und Jon Fosse; alle lesenden Schweden, unabhängig davon, welcher Gang sie in ihrer Jugend angehörten (oder nicht angehörten), erkennen Tomas Tranströmer und Lars Norén an.

Mit Bob Dylan verhält es sich ein wenig anders: Denn er ist die Personifikation des Mentalitätsumbruchs, der Ende der 60er-Jahre durch die westliche Welt fegte und für eine Springflut von abweichenden Lebensentwürfen verantwortlich war, die bald in den Sammelbegriffen »Hippiebewegung« und »Jugendrevolte« summiert wurden. Das Selbstverständnis und die sozialen Bewegungen, die mit diesen Worten umschrieben wurden, provozierten wiederum selbst neue Selbstverständnisse und soziale Bewegungen – die Jugend der 80er, in ihren schwarzen Klamotten, definierte sich über die Negation ihrer idealistischen, batiktragenden Vorgänger: No future! Seither ging es immer so weiter, in immer schnellerem Tempo und nach kombinatorischen Systemen und dialektischen Mustern, die Aussenstehende nur schwer begreifen können. Alle, die mit musikalischen Subkulturen vertraut sind, wissen, dass die Grenzen zwischen den Gruppen streng bewacht werden und dass der Narzissmus der feinen Unterschiede dauernd neue – und in vielen Fällen produktive – Ausdrucksformen findet; ja, in einigen Fällen ist der Kampf um die Gruppenzugehörigkeit die eigentliche künstlerische Triebkraft (zumindest damit behalten die Kultursoziologen Recht).

In den vergangenen Jahren haben viele Musikjournalisten im Ölland Norwegen festgestellt, dass die Zuhörer eklektisch, allesfressend und tolerant geworden sind, dass sie sich in einem sich stetig erneuernden Spotify-Entdeckungsrausch das beste aus allen Genres herauspicken. Implizit machten die Journalisten damit deutlich, dass wir uns am Ende der Geschichte der sub- und gegenkulturellen Zugehörigkeit und dem entsprechenden Musikgeschmack befinden; heute aber wurde deutlich: Dem ist nicht so. Denn was sehe ich in meinem Feed? Leute haben Angst vor einer Invasion von gitarrespielenden Männern auf zukünftigen Parties, fragen sarkastisch, ob jetzt ein Rapper der nächste Preisträger sein wird, halten dem Gewinner seinen kommerziellen Erfolg vor, beklagen sich, dass die Welt im nächsten Jahr Männern in ihren 60ern mit Pferdeschwanz und bedruckten T-Shirts gehören wird – die coolsten Schweden erklären, dass sie kotzen müssen und fragen, wie der Friedensnobelpreis diese Bedeutungslosigkeit jemals toppen soll. Es ist beinahe so, als würde man fragen, ob der Bob-Dylan-Hörer des Jahres 2016 hip oder square ist, ob Freak oder straight.

Aus dem Norwegischen von Karl Clemens Kübler.