Call for pictures/papers

Call for papers:

Die 10er Jahre. Wie fühlt sich das an, das heute? Wie wachsen wir auf, wir, die Generation Y? Wie leben wir in diesen Jahren, wie blicken wir auf die Welt? Äußern wir uns politisch oder vor allem politisch korrekt? Oder halten wir gleich ganz die Schnauze? Die metamorphosen denken in ihrer nächsten Ausgabe über das heute nach, denkt mit und schickt uns eure Texte, Artikel, Gedichte, Aufsätze, Ideen und Gedanken bis zum 01. Mai. Wir freuen uns auf Post an: redaktion@metamorphosen-magazin.de.

Call for pictures:

Für unsere Juli-Ausgabe suchen wir S/W Fotografien aus Berlin. Wie sieht das aus, das Berlin der 10er Jahre. Was macht die Stadt so einzigartig? Ihre Ecken und Kanten? Die Diversität? Die Architektur? Fragen, die nach Fotos schreien. Schickt uns eure bis zum 01. Mai!

Deadlines: 01.05.2015

Wir brauchen mehr Idioten!

Byung-Chul Han: Neoliberalismus und die neuen Machttechniken | von Marie-Luise Goldmann

„Facebook ist die Kirche, die globale Synagoge (wörtl. Versammlung) des Digitalen.“ Nur einen Pfarrer gibt es nicht. Unsere eigene Leitung und Ausbeutung übernehmen wir selbst.


Byung-Chul Han dagegen könnte dieser neue Wegweiser sein, der uns an die Hand nimmt, um uns die Welt zu zeigen, und uns auffordert, endlich zu verstehen. (In Hand steckt Han, würde er selbst jetzt anmerken. Und außerdem würde er darauf aufmerksam machen, dass Verstehen ein Stehen enthält, also ein Verweilen und Warten. Dem Verstehen entgegengesetzt ist das Erfahren, das in ständiger Fahrt und Eile voranschreitet, ohne innezuhalten.)

Das ist die Art, in der Byung-Chul Han Wörter tanzen lässt. Innehalten sollten wir tatsächlich, damit sein aktueller Essay Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken mit seiner geballten Brisanz, Cleverness und Fantasie nicht an uns vorbei rauscht.

Han, der an der Universität der Künste Berlin unterrichtende Starphilosoph der Gegenwart, untersucht in seinem, im letzten Oktober, erschienenen Buch die Tendenzen unserer Zeit. Dieses Mal sieht er jene in einer alle Lebensbereiche umfassenden, besonders vom Digitalen ausgehenden, Psychopolitik begründet. Nach der Lektüre von Müdigkeitsgesellschaft (2010), Transparenzgesellschaft (2012), und Im Schwarm: Ansichten des Digitalen (2013) kennt man zwar bereits die großen Thesen und die Richtung, in die Han immer wieder lenkt, sodass man sich mit Psychopolitik in kein neues Gedankengebäude einfinden muss. Und dennoch wird der Leser immer wieder überwältigt von den prägnanten Sätzen, cleveren Sprachspielen und wundersamen Etymologien. Nebenbei hat man bei der Lektüre von Han immer das Gefühl, ein besserer Mensch zu werden – ein romantischerer, geheimnisvollerer, schönerer. 


Alltäglichkeiten wie Facebook, Smartphones, Fitnessstudios und das Gegenwartstheater werden dabei von Han als Machttechniken des Neoliberalismus identifiziert, der die Fremdausbeutung zur Selbstausbeutung werden lasse. Aus der Biomacht sei eine Psychomacht geworden. Transparenz, Kontrolle, Emotion, Dataismus, Positivität, Selbstoptimierung, Überwachung, Ausbeutung und Gleichschaltung sind die zentralen Begriffe, die Han in seinem vielschichtigen Essay gegeneinander ausspielt und alle unter der Idee der Unterwerfung des Menschen durch die Psychopolitik vereint. 


Statt zu verurteilen, wie schlecht es heute ist, um zu loben, wie gut es früher war, bringt Han prägnante Gegensätze und Entwicklungen zur Sprache. Emotion sei etwas anderes als Gefühl, Statistik ein Kontrast zum Ereignis und die Addition der Narration entgegengesetzt. Je mehr wir Fakten aneinanderreihten, je mehr wir Informationen sammelten und Emotionen als bloße Affekte abriefen, desto mehr gingen uns Sinn und Geist abhanden. Wir verlernten die Kunst des Verknüpfens und Erzählens: „Die Krise der Gefühle (…) ist auch eine Krise der Erzählung.“

Han gelingt dabei ein Essay, der Experiment und Reise zugleich ist. Nicht alle seiner Gedankengänge mögen logisch schlüssig sein. Doch ist das gar nicht der Anspruch seiner Philosophie. Erkenntnis erwächst bei der Lektüre von Psychopolitik aus dem kindlichem Spiel mit Sprache, Ideen und Verbindungen: „Intelligenz bedeutet wählen zwischen (inter-le-gere). (…) Sie hat also keine wirklich freie Wahl, sondern eine Auswahl von Angeboten, die das System bereithält.“ So verortet er den Intelligenten in nur zwei knappen Sätzen (etymologisch) im Gefängnis – den Intelligenten, der zwar die richtige Wahl trifft, aber dabei immer nur im vorgegebenen System an Auswahlmöglichkeiten zurückbleibt. Gegen die Psychomacht, die aus dem Digitalen, aus Daten und Zählungen erwächst, schreibt er: „Big Data tritt heute nicht nur in Form von Big Brother, sondern auch von Big Deal auf.“, „Der digitus nähert sich dem phallus“, „Zählung ist nicht Erzählung“, „Der Dataismus erweist sich als digitaler Dadaismus“, „Motivation ist an Emotion gebunden. Die Motion verbindet sie.“ Sätze, die verblüffen, die einem geradezu ins Gesicht springen mit ihrer Klarheit und ästhetischen Plausibilität. 


Dass Byung-Chul Han ein Romantiker ist, der sich nach dem Alten sehnt und am Neuen nicht nur leidet, sondern auch vor der zwanghaften Leidvermeidung der gegenwärtigen Gesellschaft warnt, muss womöglich gar nicht mehr erwähnt werden. Doch neben dem sehnsüchtigen Trauern nach verlorenen Zeiten überwiegen Neugier und analytische Lust am Aktuellen. Facebook, Smartphones und Google Glass haben es verdient, von der Philosophie ernst genommen zu werden. 


Auch an Lösungen fehlt es Han nicht: Den Idioten lässt er als den Retter der Gegenwart auftreten, den Idioten, der allein Zugang zur Freiheit und zum Anderen hat. “Der Idiot”, so verfolgt Han sprachlich weiter,”ist ein Idiosynkrat. Die Idiosynkrasie bedeutet wörtlich eine eigentümliche Mischung der Körpersäfte und die daraus resultierende Überempfindlichkeit.” Der Idiot blockiere nämlich die beschleunigte Kommunikation des Gleichgewordenen, indem er als Nichtinformierter die wirklich freie Wahl hat. – Nicht nur die Auswahl des Intelligenten. Indem der Idiot das vorherrschende System der Intelligenz verlässt, „rette(…) (er) den Zauber des Außenseiters“, er „errichte(…) Freiräume des Schweigens, der Stille und der Einsamkeit, in denen es möglich ist, etwas zu sagen, das es wirklich verdient, gesagt zu werden.“ 


Dass der Experimental-Philosoph Han sich auf ein paar starke Thesen fixiert hat, die er immer wieder auf sämtliche Gegenwartsphänomene anwendet, stört letztendlich nicht. Vielmehr erregt es. Man denkt bei jedem Satz „Ja! Genau!“ und will jeden rausschreiben und sich an die Wand hängen. Da ist einer, der sich traut, auszuprobieren, und es dem Leser überlässt, sich auf sein Spiel einzulassen. Und doch ist es ihm Ernst damit. Spielerisch sollen wir wirklich Angst bekommen vor einer Welt, die blind ist für die Schönheit des Versteckens, des Verweilens und Verlierens.



Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken.
S. Fischer Verlag, Oktober 2014
128 Seiten, 19,99 Euro

Neue Ausgabe

Thema: “Vermessung”. Wer schreibt heute, wie, wo, worüber? Wer schreibt anders? Wer nicht? Und warum? Wir vermessen das Feld rings um uns und drucken jede Menge Unveröffentlichtes; u.A. Prosa von Sascha Klein und Daniela Danz, Lyrik von Anna Hetzer, Martin Piekar und Ulrich Kersten. Außerdem: Artikel über junge Literatur aus aller Herren Länder und fünf Fragen an fünf Literaturmagazine von nebenan.

Das E-Paper gibt’s ab sofort auf minimore.de

Die gedruckte Version gibt es ab Mitte April.

Präsentation: 12.05. in der Lettrétage!

Präsentation der neuen Ausgabe

Sex Sells! Or does it?

Freitag, 06.02.2015, 20.00 Uhr, Buchhandlung Neues Kapitel

Sex Sells! Mit der neuen Ausgabe widmen sich die metamorphosen einem Motto, das in Zeiten des erotischen Kassenschlagers Fifty Shades oft Grey gerade auch einmal mehr für die Literatur zu gelten scheint. Mit Beiträgen von u.a. Hannes Bajohr, Sarah Khan, Tobias Roth und Aleš Šteger, mit Rezensionen von sogenannten Groschenromanen, Essays, Interviews, literaturgeschichtlichen Rückblicken, viel Prosa und Lyrik nimmt die Berliner Literaturzeitschrift das Phänomen unter die Lupe. Wie viel Sex steckt tatsächlich in der heutigen Literatur? Wer schreibt den erotischen Roman, für wen und wie, was macht die geschriebene Erotik aus? Und wie macht sie sich so, auf dem Ladentisch – und im Lyrikband?

Fragen, die der Blick ins Heft beantwortet. Am 06.02.2015 ab 20 Uhr wird eben jenes in der Buchhandlung Neues Kapitel vorgestellt. Kostproben aus Heft und thematischem Umfeld geben die Lesenden Luisa Nothers, Tobias Roth und Christian Wöllecke.

Eintritt frei

Ein Gedicht von Moritz Gause

In der aktuellen Ausgabe stellen wir euch mit unserer Rubrik “Ein Gedicht von” den Dichter Moritz Gause vor, der uns dieser Tage mit einem weiteren Gedicht überrascht hat. “Die Nachbarn meines Freundes” passt thematisch ganz hervorragend zum Titel der Nr. 38. Lest es hier exklusiv:

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DIE NACHBARN MEINES FREUNDES

habe ich beim Vögeln beobachtet
der Freund nannte es Liebe Machen, telefonierte
durchs Küchenfenster, Januarnachmittag
und nichts zu tun
ein Fensterausschnitt voller Haut
und Haar Bewegung Haut
& draußen nur die kalte Stadt

Schlaglicht: “Soumission”, die Literatur, ihre Kritik und Dringenderes

von CHARLIE

In der aktuellen Zeit konstatiert Jens Jessen die „stilistische Armut“ und „bürokratische Trockenheit“ des neuen Romans von Michel Houellebecq. Der Autor selbst sagte in seinem einzigen Fernsehinterview zum Buch, gefragt, ob er als Starautor ein höheres Maß an Verantwortung für seine Bücher trage (als weniger gelesene Autoren, vermutlich), dass ein Roman seines Wissens noch nie den Lauf der Geschichte geändert habe. Das Kommunistische Manifest vielleicht, aber ein Roman: nein. Zwischen beiden Aussagen gibt es, obwohl unabhängig voneinander getätigt, durchaus einen Zusammenhang.

Es ist wahr, die Literatur wird wohl auf unabsehbare Zeit dazu verdammt sein, die Nebenrolle des Narren in zu kurzer Hose und zu großem Hemd und mit wirren Haaren zu übernehmen, der die holprige, zähe Fahrt in der Kutsche für den Rest der Reisegesellschaft ein bisschen interessanter macht (und der sie manchmal unerwartet an Herz, Seele oder Kopf rührt), sie schneller vorübergehen lässt und deshalb geduldet wird, denn leider leider produziert dieser Narr nun einmal weder sauberes Trinkwasser, noch einen gedeckten Tisch im Gasthaus, noch sorgt er für Sicherheit auf dunklen Straßen. Und er heilt auch keine schmerzenden Rücken oder wunde Hufe.

Vielleicht sollten wir die ästhetische Kargheit von Houellebecqs „Denkexperiment“ (Jessen), das dennoch anscheinend genug politischen Sprengstoff beinhaltet, dass man in ganz Europa darüber diskutiert, als Antwort auf die Ereignisse vom letzten Mittwoch einfach als einen Seitenhieb verstehen – ob vom Autor so intendiert oder nicht – für den Fall, wir gehören zu jenen, die sich so gern in die ästhetischen Freuden der Literatur (oder anderer Künste) fallen lassen und diese dann, aus einem schlechten Gewissen heraus oder weil ihnen die abseitige Position des Narren dann doch nicht so behagt, auch noch für politisch relevant erklären (natürlich nicht auf direktem Wege, sondern, schau, lass mich es dir erklären, ganz anders, letztendlich viel profunder, über drei, vier, fünf Ecken). Und die über diesen Erklärungen und ihrem privaten Genuss vergessen, dass auch sie am Ende des Tages zum Glas Wasser, zu Brot, Butter und Käse greifen und danach, ohne Rückenschmerzen, ruhig schlafen wollen werden. Vielleicht kann dieser Roman, der diese Bezeichnung nicht verdienen soll, also auch als Ohrfeige verstanden werden, die einem klarmachen kann, dass es sehr oft Dringenderes zu tun gibt, als „Sprachprunk, kostbare Metaphern und funkelnde Analogien“ zu genießen (die Huysmans, Vorbild des Erzählers in Soumission, Jessen zu Folge aufs Blatt bringen konnte und Houellebecq nicht). Dass einen Roman lesen letztendlich heißt, einen Roman zu lesen, nicht mehr.

Die sehr realen Ereignisse um Charlie Hebdo hätten dies nicht deutlicher machen können. Mit ‚Dringenderem‘ ist hier übrigens nicht die Verhinderung der Islamisierung des Abendlandes gemeint.

Und das von einem Literaturmagazin! #NousSommesTousCharlie

Bibliografie zum Essay “Christian der Befreier”

In Zusammenhang mit dem Essay “Christian der Befreier”, der in unserer aktuellen Ausgabe abgedruckt ist, haben wir für diejenigen, die Lust haben, sich intensiver, über die Feuilleton-Debatten hinaus, mit Krachts Werk und insbesondere Imperium zu beschäftigen, eine kleine Bibliografie zusammengestellt:

Um eine Ahnung davon zu bekommen, wie vielfältig die Themen sind, mit denen man sich im Bezug auf Kracht und seine Literatur beschäftigen kann (vor Imperium erschienen):
Johannes Birgfeld; Claude D. Conter (Hg.): Christian Kracht. Zu Leben und Werk. Köln 2009.

Einen anregenden, sich dezidiert auf poststrukturalistische Philosophien stützenden Zugang zum Werk Krachts (vor Imperium) bietet:
Bronner, Stefan: Vom taumelnden Ich zum wahren Übermenschen: das abgründige Subjekt in Christian Krachts „Faserland“, „1979“ und „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“. Tübingen 2012.

Die öffentliche Debatte um Imperium lässt sich ausführlich in diesem Buch nachvollziehen:
Christian Kracht trifft Wilhelm Raabe. Die Diskussion um Imperium und der Wilhelm Raabe Literaturpreis 2012. Hrsg. v. Hubert Winkels. Berlin 2013.

Die zwei hellsichtigsten Beiträge darin sind wohl:
Eckhard Schumacher: Differenz und Wiederholung.
und: Thomas Assheuer: Ironie? Lachhaft.

Um die versteckte Komplexität und vor allem die enorme intertextuelle Vernetzung des Romanes besser zu verstehen, lohnt sich:
Johannes Birgfeld: Südseephantasien. Christian Krachts Imperium und sein Beitrag zur Poetik des deutschsprachigen Romans der Gegenwart. In: Wirkendes Wort 3 (2012), S. 457-477.

Die spannende Analyse eines zentralen Bausteins von Krachts literarischer Ästhetik, seiner speziellen Form der Ironie, leistet:
Ralph Pordzik: Wenn die Ironie wild wird, oder: lesen lernen. Strukturen parasitärer Ironie in Christian Krachts „Imperium“. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXIII, 3 (2013), S. 574-591.

Neue Ausgabe

Sex Sells! Or does it? Neue Ausgabe, Nr. 38

Kaum hat das neue Jahr begonnen, schon können wir euch unsere neue Ausgabe präsentieren. Ab sofort gibt es sie als E-Paper bei unseren Freunden von minimore.de zum Download. Das analoge, ganz und gar haptische, Heft wird in wenigen Tagen erhältlich sein. Dann liegt es bei ausgewählten Buchhandlungen und, wie gewohnt, auf unseren Verkaufstischen am Germanistischen Institut der HU Berlin.

Freut euch auf Beiträge von u.a. Sarah Khan, Aleš Šteger, Hannes Bajohr, Tobias Roth, Moritz Gause, Luisa Nothers und Simon Elson. Freut euch auf jede Menge Interviews, Rezensionen, Essays, Prosa und Lyrik. Zugreifen!

Frohe Weihnachten

Liebe Abonnentinnen, liebe Abonnenten, liebe Leserinnen und Leser,

ein aufregendes Jahr neigt sich dem Ende zu und wir möchten uns deshalb an dieser Stelle für all’ eure Unterstützung in 2014 bedanken. Ohne euch wären die (unabhängigen, allein aus Verkäufen und Anzeigen finanzierten) metamorphosen nicht möglich: danke! Wir wünschen euch schöne Festtage, frohe Weihnachten und einen guten Start in’s neue Jahr.

Übrigens: Schon im Januar könnt ihr euch auf die neue Ausgabe der metamorphosen freuen, Titelthema dann: Sex Sells. Beigetragen haben u.a.: Ales Steger, Sarah Khan, Hannes Bajohr, Simon Elson und Tobias Roth.

Herzlich grüßt,
die Redaktion